Blog 4. Aufmerksamkeits-Defizit-Störung “Eine Beziehung mit dem ADS?”

Freundschaften – Nähe und Unsicherheiten

In Freundschaften war ich schon immer der Mensch, der „entweder alles oder nichts“ gibt. Wenn mich jemand wirklich interessiert, kann ich stundenlang zuhören, mitfühlen und mich voll und ganz auf mein Gegenüber konzentrieren. Freunde sagen oft, dass ich einfühlsam und präsent bin, und das macht mich stolz. 

Doch dann gibt es die andere Seite: Ich vergesse Geburtstage, melde mich wochenlang nicht, oder ich sage Verabredungen ab, weil mir der Alltag über den Kopf wächst. Es ist nicht so, dass mir diese Menschen nicht wichtig sind – ganz im Gegenteil. Aber manchmal verliere ich mich so sehr in meinem eigenen Chaos, dass ich schlichtweg vergesse, wie ich diese Nähe aufrechterhalten soll.

Oft habe ich Angst, dass meine Freunde mich als „zu anstrengend“ empfinden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nicht alle Menschen bereit sind, sich auf meine impulsive, manchmal unzuverlässige Art einzulassen. Das hat dazu geführt, dass ich mich lange zurückgezogen habe, aus Angst, enttäuscht zu werden – oder zu enttäuschen. Doch die Freundschaften, die geblieben sind, sind umso wertvoller. Diese Menschen akzeptieren mich, wie ich bin, und erinnern mich daran, dass ich nicht perfekt sein muss, um liebenswert zu sein.

Partnerschaften – Intensität und Herausforderungen

In romantischen Beziehungen wird mein ADS oft besonders sichtbar. Ich liebe intensiv und mit ganzem Herzen, manchmal vielleicht zu intensiv. Wenn ich verliebt bin, bin ich voll und ganz in diesem Gefühl gefangen – und das kann wunderschön sein, aber auch anstrengend.

Meine Impulsivität führt manchmal dazu, dass ich ohne nachzudenken Dinge sage oder tue, die mein Partner missversteht. Ich reagiere schnell emotional, und Konflikte können sich dadurch hochschaukeln. Gleichzeitig fällt es mir schwer, Kritik anzunehmen, weil mein innerer Kritiker ohnehin ständig laut ist. In solchen Momenten brauche ich einen Partner, der Geduld mit mir hat – und manchmal auch die Fähigkeit, mich sanft aus meinem Gedankenkreis herauszuholen und das habe ich. 

Exkurs: Der Weltenwandler und die Grenzgängerin

Ich, als Grenzgängerin, bewege mich ständig zwischen den Extremen. Mal tief in einem Projekt versunken, mal vollkommen zerstreut, schwanke ich zwischen Klarheit und Chaos. Es ist wie ein stetiges Überqueren von Grenzen – zwischen Gedanken, Gefühlen, Ideen, Realität und Träumen. Ich habe gelernt, auf dieser Grenze zu leben, doch oft fühle ich mich dort einsam oder verloren. Hier kommt der Weltenwandler ins Spiel: Er versteht die unterschiedlichen Welten, in denen ich mich bewege, weil er selbst die Fähigkeit hat, zwischen ihnen zu wechseln.

Er ist derjenige, der die Perspektiven ändert, der mit mir aus der distanzierten Beobachterposition heraus sieht, was in meinem Inneren vorgeht. Seine Art, die Welt zu betrachten, ist flexibel und offen. Er hilft mir, meine eigenen Grenzgänge nicht nur zu akzeptieren, sondern sie zu umarmen. Wenn ich am Rande der Orientierungslosigkeit stehe, ist er da, um mir zu zeigen, wie man die verschiedenen Welten miteinander verbindet. So wie er die Fähigkeit besitzt, von einer Welt zur nächsten zu springen, so hilft er mir, meine unterschiedlichen Seiten in Einklang zu bringen.

Doch der Weltenwandler ist nicht nur jemand, der mich stützt; er ist auch derjenige, der mir hilft, die Welten zu entdecken, die ich noch nicht kannte. Während ich als Grenzgängerin immer wieder neue Grenzen überschreite, ist er derjenige, der mich mit offenen Armen empfängt, wenn ich an einem neuen Ort ankomme, und der mir dabei hilft, die Karten für den nächsten Schritt zu lesen.

So sind der Weltenwandler und die Grenzgängerin nicht einfach nur Partner, sondern zwei untrennbare Teile, die zusammen eine Welt erschaffen, in der das Chaos nicht mehr als Hindernis, sondern als Quelle der Inspiration gesehen wird. Wir sind zwei Reisende, die gemeinsam die Grenze überschreiten – eine Reise, die uns immer wieder zu neuen Orten führt, die wir zusammen entdecken und gestalten.

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Aber meine Liebe ist auch kreativ, spontan und voller Überraschungen. Ich bin jemand, der kleine Aufmerksamkeiten liebt, der Briefe schreibt, Geschenke bastelt oder spontane Ausflüge plant. Es sind diese Momente, in denen mein ADS nicht wie ein Hindernis, sondern wie eine Stärke wirkt.

Doch es gibt auch die Schattenseiten: In stressigen Zeiten fühle ich mich schnell überfordert, und mein Bedürfnis nach Rückzug kann für meinen Partner schwer nachvollziehbar sein. Ich habe gelernt, dass Kommunikation hier der Schlüssel ist. Offen zu sagen: „Ich brauche gerade Raum“ oder „Ich bin überfordert“ ist für mich ein wichtiger Schritt gewesen, um Missverständnisse zu vermeiden. 

ADS bedeutet oft, dass Emotionen sehr intensiv erlebt werden. Freude, Wut, Trauer, Liebe – alles ist bei mir gefühlt immer auf „volle Lautstärke“ gestellt. Das ist in Beziehungen manchmal wunderschön, manchmal aber auch eine Herausforderung.

Es gibt Tage, an denen ich mich unglaublich verbunden fühle, an denen ich das Gefühl habe, mein Partner oder meine Freunde verstehen mich vollkommen. Und dann gibt es die Tage, an denen ich mich selbst nicht verstehe, in denen ich mich in meinen Gedanken verliere und Zweifel an allem habe – auch an meinen Beziehungen.

Eine meiner größten Herausforderungen ist es, diese Emotionen zu regulieren. Früher dachte ich, ich müsste mich „zusammenreißen“, aber heute weiß ich: Es geht darum, diese Gefühle zu akzeptieren und sie nicht zu verdrängen.

Eines der größten Hindernisse in meinen Beziehungen war lange Zeit meine Unfähigkeit, meine Gedanken klar auszudrücken. Ich springe oft von einem Thema zum nächsten, unterbreche aus Ungeduld und verliere mich manchmal in Details.

Ich habe gelernt, dass es okay ist, um Hilfe zu bitten, Fehler zu machen und manchmal einfach nur „ich selbst“ zu sein – mit all meinen Höhen und Tiefen. Denn am Ende des Tages sind Beziehungen genau das: ein Miteinander, in dem wir einander unterstützen, ergänzen und manchmal auch ein wenig erden.

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